Wie der Staat die Familien schädigt

15. Juli 2020 – von Jörg Guido Hülsmann

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[Jörg Guido Hülsmann lehrt Volkswirtschaftslehre an der Université d’Angers und ist Korrespondierendes Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben. Der vorliegende Artikel ist die Kurzfassung eines Vortrags, den er am 15. Februar 2020 auf dem Symposium „Familie am Abgrund“ in Böblingen gehalten hat. Er ist auch in der Zeitung des Familienbunds der Katholiken im Bistum Augsburg erschienen: „Familie contra Staat?“ Familienbunt, Sonderausgabe Sommer 2020, S. 12-15.]

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Jörg Guido Hülsmann

Die eigenartigen Folgen, die sich aus staatlichen Eingriffen ergeben, ähneln sich in allen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. In der Finanzwelt und in den Unternehmen werden Probleme wie Gleichgültigkeit, Entsolidarisierung, Verantwortungslosigkeit und kurzfristiges Denken nicht zuletzt durch – zuweilen durchaus gutgemeinte – staatliche Eingriffe hervorgerufen bzw. verstärkt. Nicht anders steht es auch mit der Familienpolitik. Um dies deutlich zu machen, wollen wir zunächst einige Bemerkungen zur Ökonomie der Familie machen und anschließend erklären, wie der Staat die Familien zerstört.

Ein wirtschaftliches Kraftwerk ohne gleichen

Der christlichen Definition zufolge ist die Familie eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, vor Gott, mit Gott und für Gott. Sie ist eine Art Gottesdienst. Das ist natürlich nicht die einzige Motivation, überhaupt eine Familie zu gründen, aber der Gottesdienst ist das, was die christliche Familie ausmacht.

Aus diesem Lebensbündnis vor Gott, mit Gott und für Gott ergeben sich dann in logischer Notwendigkeit eine Reihe weiterer Folgen, z.B. das formale und öffentliche Bündnis der Gatten, die lebenslange Treue, die Offenheit für viele Kinder, die Ablehnung der Abtreibung und das christliche Engagement auch außerhalb der eigenen Familie. Wo umgekehrt der Gottesbezug fehlt, dort fehlt dann auch die logische Verbindung dieser Elemente. Sie erscheinen fortan als mehr oder weniger willkürliche Konventionen. Sie werden optional bei der freien Gestaltung des individuellen Miteinanders. Sie werden mitunter überflüssig und sogar hinderlich.

In einer Gesellschaft, die die Liebe zu Gott verliert, verliert daher auch die Familie ihre feste Gestalt. Die christliche Familie wird dann nach und nach verdrängt durch einen Flickenteppich anderer Formen des Zusammenseins, die je nach Gusto zusammengestellt werden. Das ist unvermeidlich und kann durch kein menschliches Eingreifen – auch nicht durch die Staatsgewalt – verhindert werden.

Aber die traditionelle Vorherrschaft der christlichen Familie ist nicht nur durch den weitverbreiteten Abfall vom Glauben bedroht. Sie wird auch durch Eingriffe des Staates in Frage gestellt, und zwar massiv. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, müssen wir uns allerdings zunächst die wirtschaftlichen Gründe vor Augen führen, aus denen Familien entstehen und wachsen. Der allererste dieser Gründe ist die Arbeitsteilung.

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Die Theorie der Arbeitsteilung lehrt uns, dass die Arbeit von Spezialisten, die ihre Überschüsse tauschen, ertragreicher ist als nicht-spezialisierte Arbeit. Der Schuster erzeugt natürlich mehr Schuhe, der Bäcker mehr Brote als er persönlich und seine Familie brauchen würden. Aber der springende Punkt ist, dass durch ihre Spezialisierung insgesamt mehr Schuhe und Brote hergestellt werden als wenn jeder Einzelne einen Teil seiner Zeit der Schuhmacherei und einen anderen Teil der Bäckerei gewidmet hätte.

Die wichtigste Voraussetzung dieses kleinen Wunders ist, dass die Spezialisten verschiedene Talente haben. Die Produktivität der Arbeitsteilung beruht auf der Ungleichheit der Tauschpartner. Und genau das ist der Grund, aus dem auch die christliche Familie so effizient ist. Männer und Frauen sind nämlich anders, und sie ergänzen sich auf glückliche Weise. Sie ergänzen sich in ihren intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten, in ihren sozialen Kompetenzen, in ihren geistlichen und ästhetischen Sensibilitäten und im Gemütsleben. Daher ist es ihnen möglich, in all diesen Dimensionen des Menschseins gemeinsam über das hinauszuwachsen, was ihnen jeweils alleine und auf sich gestellt möglich wäre.

Ähnlich wichtig ist die generationenübergreifende Arbeitsteilung innerhalb der Familie. Auch die Generationen sind verschieden, auch sie ergänzen sich. Junge Leute haben typischerweise große Arbeitskraft und Kreativität, jedoch weniger Erfahrung und Geld. Die Zusammenarbeit zwischen den Generationen einer Familie wird zudem durch langjährig gewachsenes Vertrauen und Zuneigung begünstigt, das im Verhältnis zu familienfremden Leuten erst noch aufgebaut werden muss.

Rein ökonomisch besehen sind Familien wahrscheinlich die effizienteste menschliche Organisationsform überhaupt. Das wird leider kaum einmal richtig gewürdigt, auch nicht von den Ökonomen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Leistungen der Familie viele Dimensionen haben, die zumeist gar nicht oder nur schwer zu messen sind, ganz anders als die Leistungen einer Firma oder eines Sportvereins.

Familien sind zwar außergewöhnlich effizient, aber nicht unfehlbar. Sie scheitern in der Regel auf einem der großen Konfliktfelder: Finanzen, Kindererziehung, Sexualität. Wenn hier kein gemeinsamer Nenner gefunden wird, wenn es an Hoffnung fehlt oder an Offenheit für die Gottesgaben, dann wird ein Scheitern wahrscheinlich.

Wie wird nun dieses Scheitern aber auch durch staatliche Eingriffe begünstigt?

Staat und Familie

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst das Wesen des Staates vor Augen führen. Max Weber bekannter Definition zufolge ist der Staat ein Monopolist legitimer Gewalt. Dieser Staatsbegriff wurzelt in der juristischen Konzeption des modernen Staates – jenes Staates, der das Gesetz nach freiem Ermessen festlegt. Er entsteht im 16. und 17. Jh. aus der Auseinandersetzung mit der naturrechtlichen Auffassung vom objektiven Recht, das der menschlichen Willkür entzogen ist. Als Folge ergibt sich, dass der Staat selber nicht nur besondere Rechte innehat, die seinen besonderen Pflichten entsprechen. Vielmehr steht der moderne Staat im strengen Sinne über dem Gesetz. Er entscheidet völlig frei über das, was richtig und falsch ist.

Wenn dieser Rechts- und Staatsbegriff einmal Fuß gefasst hat, ergibt sich auf ganz natürliche Weise eine Tendenz zum unbegrenzten Staatswachstum. Es gibt keine logische Bremse dieser Bewegung, denn die Befugnisse und Aufgaben des Staates sind nicht mehr grundsätzlich eingegrenzt, sondern grundsätzlich offen und unbegrenzt. Und es gibt auch kaum noch eine wirtschaftliche Bremse des Staatswachstums, denn mit seinem Wachstum wachsen auch Einkommen und Macht der Staatsdiener und aller anderen Interessierten.

Seit einigen Jahren ist die Familienpolitik zu einem wichtigen Feld des Staatswachstums geworden. In der Vergangenheit dienten verschiedene staatliche Eingriffe vorgeblich dem Familienschutz (steuerliche Privilegien, Kindergeld u.ä.), doch die heutige Politik ist fast ausschließlich familienschädigend.

Es sei vorausgeschickt, dass eine ausdrückliche politische Schädigung der Familien eher selten ist. Kommunisten vom Schlag eines Friedrich Engels haben die Familie sehr richtig als Quelle der bürgerlichen Moral erkannt und sie aus diesem Grund auch bekämpft. Solche Fanatiker gibt es auch heute noch, aber sie bestimmen nicht das Geschehen.

Sehr viel wichtiger ist die stillschweigende Schädigung der Familie. In der Tat wird die familienschädigende Wirkung eines staatlichen Eingriffs mitunter überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Ein wichtiges Beispiel liefert die Geldpolitik. Unser heutiges Währungssystem ist darauf angelegt, ständige Preisinflation zu erzeugen, und daraus entstehen wiederum unwiderstehliche Anreize zur Schuldenwirtschaft. Die Risiken liegen auf der Hand. Wie viele Familien sind nicht daran zerbrochen, dass sie die Schuldenlast nicht meistern konnten? Solche Folgen werden von den Geldpolitikern keineswegs beabsichtigt oder auch nur wissend hingenommen. Sie werden bei der politischen Entscheidungsfindung schlichtweg nicht berücksichtigt. Und dennoch sind dies Folgen, die sich aus ihren Entscheidungen ergeben.

In anderen Fällen wird die Schädigung der Familie zwar nicht als eigenständiges Ziel verfolgt, aber als Nebenwirkung einer Politik billigend im Kauf genommen. Das betrifft in abgeschwächter Form den klassischen Wohlfahrtsstaat, insbesondere jedoch die vermeintlich liberale Sozialpolitik à la John Stuart Mill, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien und den skandinavischen Ländern tonangebend geworden ist und auch in Deutschland seit etwa zwanzig Jahren vorherrscht.

Mill zufolge soll der Staat die Wahlfreiheit der Individuen fördern, indem er ihnen die Steine des Lebens aus dem Weg räumt. Er soll sie insbesondere von den Zwängen ihres sozialen Umfelds befreien. Mills heutige Anhänger haben diesen Denkansatz auf die Spitze getrieben. Sie verstehen unter „Zwang“ letztlich alles, was die menschliche Willkür einschränkt – alles, was den Einzelnen daran hindern könnten, das zu tun, was er gerne täte, oder das zu sein, was er gerne wäre. Zwang entspringt nicht nur aus Gesetzen, Steuern und den persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen. Er entspringt auch Autoritäten wie Kirche, Väter, Mütter, Unternehmenschefs. Er zeigt sich in Grenzzäunen und Mauern. In extremer Form zeigt er sich in den Gegebenheiten der eigenen Identität. Auch das eigene Geschlecht und der eigene Körper sollen frei wählbar sein, und auch zu dieser freien Wahl soll der Staat dem Einzelnen verhelfen.

Staatseingriffe, die darauf abzielen, solche „Befreiungen“ herbeizuführen, beschädigen das Familienleben, da sie die Familien einerseits finanziell belasten und andererseits überflüssig machen. Das wichtigste Beispiel ist die Emanzipationspolitik im Namen des Feminismus. Die Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten, die von Ursula von der Leyen und von unserer jetzigen Bundeskanzlerin mit großer Entschlossenheit eingeführt worden sind, zielen ausdrücklich darauf hinab, die Lebenszwänge der weiblichen Existenz abzuschwächen. Sie sollen den Frauen eine große Last von den Schultern nehmen, so dass sie sich frei entfalten können. All dies reiht sich nahtlos ein in die feministische Politik seit den 1970er Jahren: Abtreibungsrecht, Erstattung der Kosten von Empfängnisverhütung und Abtreibungen aus der gesetzlichen Krankenkasse, Ehescheidungsrecht, Sorgerecht usw.

Es liegt auf der Hand, dass diese Politik keine Förderung der christlichen Familie bedeutet. Aber sie beschädigt die Familie geradezu, indem sie das Verhältnis von Kosten und Nutzen des Familienlebens verschlechtert. Sie verringert die Anreize, eine Familie zu gründen und auch unter Widerständen am Leben zu halten. Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten werden durch die Besteuerung der Familien finanziert, also sinken die Erträge des Familienlebens, während gleichzeitig die Notwendigkeit zusätzlicher Geldeinkommen zunimmt. Die größere wirtschaftliche Selbständigkeit der Frauen verringert dann die Ausstiegskosten aus der Solidargemeinschaft der Familie. So kommt es zu vermehrten Ehescheidungen und alleinerziehenden Müttern. Dieser Zusammenhang wird in weiterer Folge noch dadurch verstärkt, dass auch für die Männer die Anreize zur Familiengründung sinken. Zum einen müssen sie ja nun von vorneherein mit einer höheren Wahrscheinlichkeit des Scheiterns rechnen. Zum anderen bedeutet das deutsche Scheidungsrecht für den Mann sehr häufig den wirtschaftlichen Ruin.

Aus Sicht der ökonomischen Theorie entsteht auf diese Weise eine zerstörerische „Rationalitätsfalle“. Aus der einzelwirtschaftlichen Sicht der Frau wird die Familie infolge der staatlichen Eingriffe entbehrlich und überflüssig. Aber indem die Familie verwelkt, wird auch die Leistungsfähigkeit der Gesamtwirtschaft geschwächt, und daher sinken letztlich auch die Steuern, ohne die die feministische Politik nicht möglich ist.

Angesichts dieser Verrücktheiten mag man sich nach dem klassischen Wohlfahrtsstaat Bismarck’scher Prägung zurücksehnen. Der gute alte Wohlfahrtsstaat – wir wollen hier in erster Linie an das umlagefinanzierte Rentensystem und Gesundheitssystem denken – zielt in der Tat keineswegs darauf ab, die individuelle Selbstverwirklichung auf Kosten des Steuerzahlers zu ermöglichen. Sein Ziel ist nicht die Befreiung von allen Zwängen, sondern lediglich eine gewisse Absicherung gegen wirtschaftliche Notlagen.

Aber auch eine solche Rückbesinnung wäre trügerisch, zumindest in Rücksicht auf die Familien. Denn auch der Wohlfahrtsstaat hat das Verhältnis von Kosten und Nutzen des Familienlebens nachhaltig beeinträchtigt. Auch er hat daher die Solidargemeinschaft zwischen den Eheleuten – und zwischen Eltern und Kindern – geschwächt, wenn auch nicht ganz so schnell, brutal and zynisch wie die neuere Politik feministischer Prägung. Er hat die Familie zwar nicht abgeschlachtet, aber er hat sie langsam zersetzt. Besonders deutlich ist diese Tendenz im Verhältnis zwischen den Generationen abzulesen, denn es wird durch das staatliche Rentensystem in wirtschaftlicher Hinsicht geradezu auf den Kopf gestellt. Die Familien müssen weiterhin die Kosten der Kindererziehung tragen, während sie die künftigen Steuerzahlungen ihrer Kinder mit allen anderen Bürgern – also auch mit den Kinderlosen – teilen müssen. Die Vorteile der Kinder werden sozialisiert, während die Kosten der Kindererziehung weiterhin privat bleiben. Wer es darauf absehen wollte, die Familien schrumpfen zu lassen, könnte sich kaum etwas Besseres einfallen lassen.

Jörg Guido Hülsmann ist Professor für Ökonomie an der Universität Angers in Frankreich und Senior Fellow des Ludwig von Mises Instituts in Auburn, Alabama. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste sowie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Zu seinen umfangreichen Interessen- und Forschungsgebieten zählen Geld-, Kapital- und Wachstumstheorie. Er ist Autor von «Ethik der Geldproduktion» (2007) und «Mises: The Last Knight of Liberalism» (2007). Zuletzt erschienen «Krise der Inflationskultur» (2013). Seine Website ist guidohulsmann.com

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

 

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